Lustobjekt Fahrrad
Was für ein Titel! Neugierig? Worum geht's hier? Handelt es sich um eine besondere Form von Fetischismus? Soll auf die Diskriminierung eines Fortbewegungsmittels in der Werbung aufmerksam gemacht werden? Oder was ging sonst im Kopf des Autors vor, als er diese Überschrift an einem Sonntagnachmittag zu Papier brachte?
Nun, es ging ihm darum, die Freude und Faszination an einer Jahrhundertleistung der Ingenieurszunft zum Ausdruck zu bringen. Dieses Vehikel aus Metall, Gummi, Leder (!) und ein wenig Kunststoff vermag es täglich zu begeistern. Es ist einfach große Klasse (um das modische Wort mit dem "g" am Anfang zu vermeiden), morgens die paar Kilometer zur Arbeit auf ihm zurückzulegen. Mit der sicheren Gewissheit, gleichzeitig etwas für die persönliche Gesundheit und Fitness zu tun, radelt es sich selbst ab und zu bei Regen fast wie von selbst. Die nicht enden wollenden Diskussionen um Parkplatzsorgen lassen es mit einem entspannten, müden Lächeln völlig kalt. Auch in der dichtesten rushhour lässt es seinen Fahrer souverän in kaum verminderter Geschwindigkeit lautlos durch die Stadt gleiten.
Und es jagt ihm jedes Mal Schauer der Erstaunens und der Bewunderung über den Rücken, wenn der Pedalist über den aberwitzig guten (man hätte an dieser Stelle wieder dieses andere mit "g" beginnende Wort benutzen können) Wirkungsgrad seines Gefährts nachdenkt. Mit gerade mal einem Tausendstel des Energieeinsatzes bewegt er sich fast ebenso schnell wie seine motorisierten Mitmenschen. In der Stadt sogar schneller! Nur ein Vogel nutzt seine Energie noch effizienter als der Radfahrer.
Der Autor kämpft erneut mit sich, das Wörtchen mit "g" zu vermeiden, wenn er an die wunderbaren Erlebnisse sinniert, zu denen ihn sein Rad schon begleitet hat. Sei es ein intensiver Abend bei Freunden mit gutem Essen, Rotwein und die Seele auftankenden Gesprächen. Sei es der Wochenendausflug zu zweit mit Zelt im Gepäck und Schmetterlingen im Bauch. Oder sei es der Urlaub in fantastischer Landschaft, deren Gerüche, Geräusche und Formen man wohl sinnlicher nicht erleben kann als mit dem Rad. Jetzt im Frühjahr und im Sommer bleiben die langen und dicken Hüllen in den Kleiderschränken. Luft und Sonne sollen an den Körper! Die verstohlenen Blicke entgehen einem nicht. "Das Fahrgestell kann sich sehen lassen...". Ja, Mädels, das da ist nicht Jan Ulrich. Das ist nur jemand, der Tretkurbeln statt Gaspedal bedient. Er fährt das ganze Jahr Cabrio, und zwar offen! Und er genießt im Gegenzug auch die Aussicht auf die Beine des radelnden anderen Geschlechts, die sich nicht hinter Blech und Schalensitz verstecken... Gemeinsam erlebt man die Erotik eines leichten, den Körper im Fahrtwind umflatternden Kleidungsstücks. Und jetzt muss es doch 'raus: Radfahren ist einfach geil!
Text: Robert Hecht
(im Herbst 1998)